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Die Karibik

Von Hog Island aus starten wir für unsere Besichtigung einer Kakao-Plantage: Als wir ins Beiboot steigen, sehen wir in der Ferne bereits die schwarzen Wolken am Himmel hängen und gerade als wir am Steg von Clarks Court Marina anlegen, fallen die ersten dicken schweren Tropfen. Basil und ich mit Luc auf den Arm sprinten bis zu Bonston Antoines Taxi, das wir für den heutigen Ausflug wieder bestellt haben. Markus muss noch das Beiboot absperren und bis er sich auch auf den Weg machen kann, regnet es bereits in Strömen. Er sucht den Schutz eines Daches auf, aber es ist zu spät, der Regen hat ihn durchnässt: Macht nichts, in der Karibik trocknet das schnell wieder!

Nachdem wir eine Zeitlang unterwegs sind, frage ich Bonston, wohin wir denn fahren würden, mit der Route kommt mir etwas komisch vor. Dann stellt sich heraus, dass ich gedacht habe, das Belmont Estate befände sich in Belmont, im Süden der Insel, wo auch unser Schiff liegt – das Ausflugziel so ausgesucht, damit die Fahrt für Luc nicht zu lange wird! Das Belmont Estate steht aber fernab von Belmont, im Norden der Insel, beinahe fast so weit wie die turtle beach! Macht nichts, der Reiz der karibischen Landschaft hat uns schon in den Bann gezogen, wir freuen uns nochmals  die besondere Vegetation sehen zu dürfen. Die Dichte des Baumwuchses, die Höhe der Bäume, die Grösse deren Blätter und Früchte lösen bei mir eine Flut von Gedanken über die Karibik aus.

Warum sind wir eigentlich ursprünglich in die Karibik gereist? Eigentlich nicht wegen der Karibik, wir wollten eine längere Reise mit dem Schiff machen und da lag die Karibik mehr oder weniger am Weg! Mich reizte die Karibik damals nicht besonders, ich hatte auch nur Klischeevorstellungen davon: Weisse Strände, Palmen, Kokosnüsse und immer glückliche Menschen, die sorgenfrei durch das Leben gehen: “ don’t worry, be happy!“ Da kann einem eine Kokosnuss beim Sonnbaden auf dem Kopf fallen – diese Gefahr wird übrigens an manchen Orten ausgeschildert -, aber  zu sehen gibt es da nichts! Erst als wir bereits da waren, erkannte ich wie falsch ich damit lag! Weisse Strände haben wir lange keine gesehen, erst in den Grenadinen und da speziell an zwei Orten, in den Tobago Cays und in Petit St Vincent. Palmen und Kokosnüssen gibt es in der Tat ein wenig überall, aber es gibt vor allem Regenwald mit einer mir völlig neuen Flora und Fauna. Ein paar Pflanzen kenne ich von unseren europäischen Zimmerpflanzen, die sind aber kaum wiederzuerkennen – der Ficus im Regenwald übersteigt in seinen Dimensionen wohl um das Zehnfache den Ficus, den wir für gewöhnlich in unseren Wohnungen oder Häusern halten – und die wächsernen Blumen (z.B. die Helaconia), die bei uns so exotisch wirken, gehören hier  zu jedem Strauss. Angesichts der hiesigen Grapefruits, der Calabashfrüchte, der Bananenstauden und der Papayas erscheinen unsere Äpfel und Birnen schon etwas mickrig – klein, aber fein, werdet ihr sagen! Ich erinnere mich, dass mir von der Üppigkeit der Vegetation und dem intensiven grün vor zwei Jahren, als ich schwanger war, beinahe übel wurde. Alles scheint hier zu gedeihen, was das Kultivieren wohl umso schwieriger macht: Schnelles und starkes Wachstum gibt umso mehr Arbeit! So gilt womöglich das „enjoy“, dass die Menschen einem in der Karibik gern zurufen, auch als eigene Ermunterung, um bei der Arbeit in der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit bestehen zu können.

Die Karibik hat aber auch eine wechselvolle, meistens grausame Geschichte. Sie ist sich in ihren Grundzügen von einer Insel zur anderen sehr ähnlich und doch hat jede Insel ihre ganz eigene Identitätsbildung durchgemacht. Da waren die IndianerInnen, die von den EuropäerInnen so furchtbar misshandelt wurden, da gab es die hin- und hergehenden Kämpfe zwischen den kolonisierenden Ländern (was sich Franzosen und Engländer hier bekämpft haben, aber auch die Spanier und die Niederländer usw.!)  und da gab es die menschenverachtende Sklaverei. Die Spuren von dieser Geschichte sind noch überall zu sehen, allen voran in den Ortsnamen, aber auch bei den Menschen selbst: So haben wir zum Beispiel eine Frau kennengelernt, die uns erklärte, ihr Uhrgrossvater sei ein Indianer gewesen, sie habe aber auch jüdisches, portugiesisches und afrikanisches Blut! Es gab eine Zeit, da traf sich die ganze Welt in der Karibik! Und der Politik stellen sich bis heute noch Fragen aufgrund der Geschichte der jeweiligen Insel, etwa die Frage nach der Unabhängigkeit und/oder der Gestaltung der Beziehung zum ehemaligen kolonisierenden Land. 

Trotz den schwierigen Verhältnissen machen die Menschen einen aufgeschlossenen und meistens herzlichen Eindruck. Da gibt es Menschen, die strahlen so fest von innen heraus, dass man den Blick am liebsten gar nicht mehr von ihnen lösen möchte. Da gibt es andere, die einen so böse anschauen können, dass man am liebsten im Erdboden versinken würde. In Trinidad – von dieser Insel haben wir den Eindruck, sie sei von all den besuchten Inseln die bisher  geschäftigste– gibt es viele ins Leere schauende Menschen, als ob der Alltag mit seinen vielfältigen Aufgaben die Ausdruckstärke aus den Gesichtern geraubt hätte.
Es ist aber auch in Trinidad, wo  mir die Männer auffallen, die so stark auf Kleinkinder wie Luc reagieren. Da hält einer mit seinem Lastwagen an, weil er von weitem Luc erblickt hat: Er winkt so lange bis ihn Luc auch gesehen hat und den Gruss erwidert. Ein anderer Mann stellt den Motor seines Bulldozers ab, um Luc die Ehre zu erweisen – er verstehe nun, warum Markus lange nicht da gewesen sei. Andere Männer üben gern „give me five“ mit Luc – der Handschlag bei dem mit der flachen Hand auf der Handfläche des Gegenübers geschlagen wird – und „give me a bounce“ – die Faust des einen Grüssenden stosst mit der Faust des anderen Grüssenden zusammen! 
Auch die Frauen reagieren stark auf Luc, immer wieder hören wir „he is so cute!“ oder „look at these eyes!“ Sie versuchen mit ihm Kontakt aufzunehmen, er ist zuerst zurückhaltend, aber wenn das Eis einmal gebrochen ist und er ihnen winkt oder „hallo“, „hi“ oder „byebye“ zuruft, dann schmilzt das Publikum erst recht dahin, die Eltern übrigens auch. Es ist ein schönes Alter, um mit Kindern zu reisen: Als Basil anderthalb Jahre alt war, machte ich drei Wochen mit ihm in Griechenland Ferien und es spielten sich ähnliche Szenen ab, nur waren die Damen dort vielleicht etwas distanzloser, sie kamen ihm manchmal einfach zu nahe. Luc stiehlt ihm nun die Show – und am Anfang hatte er auch noch den Gipsbonus, da fiel er einfach jedem auf und ich staunte, wie viele Menschen mich darauf ansprachen, als er dann keinen mehr hatte: Ich fragte mich, ob ich diese Menschen schon je gesehen hatte! Kinder in Basils Alter erregen nicht mehr so viel Aufmerksamkeit – sie sind auch nicht mehr nur herzig und was Basil betrifft, kann er zwischendurch sogar mal richtig „böse dreinschauen“ und die Kunst der Widerrede beherrscht er auch schon sehr gut. Trotzdem  tut er mir leid, wenn er von allen Menschen unbemerkt daneben steht – neben dem kleinen Bruder Luc. Ich tröste mich und ihn, indem wir uns daran erinnern, dass unmittelbar vor unserer Abreise als wir zusammen auf dem Weg zum Volg waren, eine fremde Frau uns entgegen kam und anscheinend aus dem nichts heraus sagte: „Sie händ do aber en herzige Bueb!“ Und das in unserem Heimatdorf!

Warum die Karibik mir dieses Mal zu alldem hinzu auch noch positiv auffällt, ist wegen ihrem Klima. Ich geniesse es dieses Jahr besonders, dass es einfach immer schön ist: Auch wenn es regnet, ist es noch schön, es ist ja noch gleich warm und es ist alles im Nu wieder trocken. Ausserdem regnet es zwar ganz heftig, dafür aber fast immer nur kurz. In Trinidad kann es schon einmal zu heiss werden, aber im Grunde ist die Lufttemperatur (Trinidad zwischen 22 und 32, Grenada zwischen 23-29 Grad) gerade richtig und das Tag und Nacht: Auch am Abend braucht es kein Jäckchen, die IndIanerInnen beschrieb man in dieser Gegend meistens nackt. Wenn die Klimaanlage in unserem Bungalow auf 22 Grad eingestellt ist, empfinde es als zu kühl, ich erhöhe auf 24 Grad! Sogar Luc, der anfänglich unter der Hitze litt, hat sich den hiesigen Temperaturen angepasst. Er bekam zuerst Hitzeausschläge (rote Punkte), die vor allem an dem ehemals gegipsten Arm lange anhielten, und musste sich viel am Kopf kratzen. Nach zweieinhalb Wochen hat sich seine Haut daran gewöhnt, auch wenn er noch jetzt viel schwitzt. Das Wasser mit seinen 28 Graden macht einem das Baden auch sehr leicht und angenehm. Ich frage mich zwischendurch, ob ich noch in kälteren Gegenden segeln könnte: Wir liebäugeln immer wieder mit Skandinavien, diese Länder haben mich schon als Kind angezogen – warum eigentlich? etwa wegen Pippi Langstrumpf und Michel von Lönneberga? -, aber die Vorstellung von kaltem Regen und ebenso kaltem Wasser rund um das Schiff, macht uns schon etwas zurückhaltender, ob das für Kinder überhaupt ein Vergnügen sein kann? 

Ja, die Karibik gefällt mir fast noch besser als vor zwei Jahren. Ich bin auch nicht mehr so geruchsempfindlich, sogar der Geruch der Feuer – sie riechen nach nassem Holz, manchmal auch nach Abfall – finde ich nun erträglich. Riechen sie vielleicht fast schon gut? Eine dritte Runde wäre nun durchaus denkbar, zum Beispiel auf den Jungfern Inseln…
Wenn ich meine Gedanken zur Karibik endlich fertig gedacht habe, sind wir auch schon im Belmont Estate angekommen. Dort wird uns die dreihundert Jahre alte Glocke gezeigt – was hiess wohl das Läuten für die SklavInnen? – und der Tamarin-Baum, unter dessen Äste man in der Nacht nicht verweilen sollte – die Legende sagt, sie könnten einen gefangen nehmen -, dessen Früchte aber in herrlichem Saft und köstlichem Eis verwandelt werden. Dann folgt die Erläuterung zur Verarbeitung der Kakaobohnen, der junge und durchaus sympathische Tourleiter unterstreicht gern die unterschiedlichen Aufgaben von Mann und Frau – so strecken sich etwa die Männer nach oben um die Früchte von ihren Ästen zu trennen und die Frauen bücken sich, um sie aufzulesen. Und so darf ich, weil ich eine Frau bin, mit meinen blossen Füssen durch die Kakaobohnen schlendern, um sie zu wenden, damit sie auch gut trocknen mögen. Wie auch immer, es ist sehr interessant zu erfahren, wie aus einer Frucht letztendlich Schokolade wird (und dieses Wissen verdanken wir den Mayas und ihren Alkoholgelüsten – sie warfen den Teil der Frucht weg, der Alkohol gegeben hätte und bekamen dafür süssen Kakao,  aber das ist eine andere Geschichte!). Mit diesen übrigens biologischen Kakaobohnen wird in Grenada eine ausgezeichnete Schokolade produziert und anschliessend hübsch verpackt. Sie soll auch in Europa erhältlich sein.
Am aller-, allerschönsten im Belmont Estate ist aber Rainbow, der sprechende und singende Papagei. Er kann, ungelogen, „happy birthday, Rainbow“ singen und gibt seine „hello“ und „hi“ zum Besten. Basil findet ihn so wunderbar, weil er auch auf Schweizerdeutsch „hallo“ sagt!

Andrea

29.-30.4 und 1.5.2011